Gestern habe ich mit einer Berufschülerin, welche an einer virtuellen Lerngruppe zur Prüfungsvorbereitung in der Mediencommunity teilnhehmen möchte über dies und jenes gesprochen, um zu erfahren, wie wir Auszubildende bei der Prüfungsvorbereitung noch besser unterstützen können. Sie hat sich vor allem Einzelaufgaben und Experten-Feedback gewünscht. Sie meinte in der Schule probiert man gerne und auch oft “neue Methoden” wie Gruppenarbeit, kollaboratives Lernen usw. aus (wir sind im Gespräch nicht auf die Begriffsabgrenzung eingegangen). Ihre Erfahrung ist aber, dass es für Schüler sehr aufwendig und zeitintensiv ist und dass man grundsätzlich dabei nicht viel lernt, sprich man muss es nachher selbst nachholen. Ihr Fazit: kollaboratives Lernen/Gruppenlernen – jetzt zitiere ich sie – “kotzt schon alle an”. Sie hätte also mal gerne zur Abwechslung Einzelarbeit mit Fachexperten. Viel Betreuung, one-on-one. Ist vielleicht aus Sicht der Auszubildenden/Schüler kollaboratives Lernen/Gruppenarbeit eine billige Lösung für die, die sich kein Privatlehrer leisten können? Oder läuft etwas schief in den Schulen und die “neuen Methoden” werden nicht so eingesetzt, wie sie eigentlich eingesetzt werden sollten?
Kooperative Lernformen sind dann sinnvoll bzw. gewinnbringend, wenn sie gründlich durchgeführt werden. Bei der Aufgabenstellung z.B. kommt es auf Präzision an, Dosierung und Anspruch des Materials sind ebenso bedeutsam, Austausch- und Sicherungsphasen “nach der Präsentation” sollten entgegen der Gepflogenheiten “aus Zeitgründen” nicht ausfallen.
Ich bin seit 10 Jahren aus dem Referendariat und entwickle immer noch meine Handlungsmöglichkeiten in den genannten kritischen Bereichen. Zum Glück gibt es hervorragende und überzeugend gestaltete Trainings-Literatur, ich mag z.B. sehr die beiden Bände “Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen” von Ludger Brüning und Tobias Saum und setzte sie auch in der Lehrkraftausbildung ein.
Schließlich: Nicht alles lässt sich sinnvoll über kooperative Lernformen umsetzen, es gilt die Binsenweisheit “Die Mischung macht’s”.
Die Klage über nicht gut umgesetzte kooperative Lernformen ist verständlich, auch Fachexperten/One on one-Szenarien sind sicher eine hervorragende Ergänzung, wenn sie denn realisierbar sind. – Grundsätzlich ist die in Einzel-, Partner- und Teamphasen gestufte Vernetzungsarbeit zwischen vorhandenem und neuem Wissen nachhaltiger als das, was sich junge Lernende wünschen, zumal es in unserem Unterricht mittlerweile ja eher um in multiplen Zusammenhängen anwendbare Kompetenzen als um reines Faktenwissen gehen soll.
Als kritische Grenze dieser schönen Theorie erweist sich – einmal mehr – unsere Testkultur, die sich viel zu langsam zu etwas Sinnvollem hin entwickelt (Lernstandserhebungen wie sie vom IQB mittlerweile landesweit durchgeführt werden halte ich nach anfänglich beträchtlicher Skepsis und komplexem Lern- und Reflexionsprozess für einen Schritt in eine gute Richtung)… aber das ist ein anderes Thema.
Lieber Matthias,
vielen Dank für Dein Kommentar samt Meinungen, Reflexionen, Literaturhinweisen und Empfehlungen. Das ist wirklich ein tolles Kommentar 🙂
Meine Vermutung ist, dass viele Lehrer/Innen kollaboratives Lernen selbst selten erleben/erlebt haben und dadurch wenige gute Vorbilder haben bzw. viele Konzepte “aus dem Buch” kennen und im Endeffekt mit den Methoden experimentieren.
Es ist natürlich traurig solche Aussagen von jungen Lernenden zu hören. Es ist schade, dass es den Lehrenden in diesem Fall nicht gelungen ist, den Mehrwert zu erkennen und die Freude an kollaborativer Arbeit zu erleben.
Vielleicht könnte man den Lehrenden ab und zu mal kollaboratives Lernen zum Selbsterleben schenken?
LG,
Ilona
Zuerst etwas (lehrerhaft) Besserwisserisches: Im deutschen Sprachraum hat sich der Begriff „kooperatives“ Lernen durchgesetzt, weil der „Kollaborateur“ eine negative Konnotation hat – man kooperiert lieber. Aber das hat der erste Kommentator ja schon stillschweigend korrigiert.
Es war Norm Green, der in den letzten 10-12 Jahren die Ideen des Kooperativen Lernens bei uns ein wenig populär gemacht hat. Leider ist er im letzten Jahr verstorben. Seine Ideen und Materialien werden vom Peter Blomert und dem Green – Institut weiter verbreitet, auch in einem sehr verfolgenswerten Blog (http://blog.kooperatives-lernen.de).
Von der sicherlich drohenden Einseitigkeit bei den Unterrichtsmethoden hat mein Vor – Kommentator“ schon geschrieben – ich bin allerdings davon überzeugt, dass auch ein großer Anteil an Koop-Lernmethoden nicht schnell langweilig werden muss.
Ich möchte noch einen neuen Aspekt einbringen, der diesen „Fall“ von einer anderen Seite beleuchtet: Gruppenarbeit – egal in welcher noch so vielfältigen Form – ist anstrengender als das scheinbar aktive Zuhören bei einem Lehrervortrag! Das macht es einfach schwerer, diese Methoden zu etablieren. Die Schülerinnen und Schüler, an 45-Minuten-Häppchen gewöhnt, sind oft nicht in der Lage, den ganzen Tag in der Intensität zu arbeiten, wie es beim kooperativen Lernen nun einmal erforderlich wäre. Das soll keine Schuldzuweisung sein und erst recht kein Anlass für uns LehrerInnen, nicht weiter den kooperativen Weg zu gehen, nur eine Erklärung für die Mühen, die wir bei der Umsetzung haben – vielleicht nur ein Hinweis auch auf notwendige Veränderungen in der Organisationsstruktur.
Eine andere Erklärung ist mir allerdings auch sehr wichtig: Schülerinnen und Schüler sind oft nicht bereit, sich mit einem Thema / Problem länger als wenige Minuten zu beschäftigen. Der Lehrer als Entertainer vor der Tafel, farbige Tafelbilder – oder jetzt sogar noch interaktive Whiteboards – das ist angesagt! Das habe ich in meiner langjährigen Praxis schon immer erlebt, aber es scheint mir verstärkt vorzukommen. Ob es am Medienkonsum liegt? Vielleicht ist die folgende Anekdote ein Indiz dafür: Der Mathe-Lehrer entwickelt ein Problem an der Tafel, die Lösungsmöglichkeiten werden diskutiert, ohne dass die Lösung vorgegeben wird. Schon nach kurzer Zeit nimmt ein Schüler den Taschenrechner und hält diesen wie eine Fernbedienung in Richtung Tafel und drückt – er will dieses Bild einfach nur wegzappen!
Hallo Uli Dönhof,
vielen Dank für Deine Perspektive. Nun wird das Bild runder. Jede Medaille hat zwei Seiten, aber auf beiden Seiten dieser Medaille sind Menschen, die es gerne anders hätten, die etwas anderes erwarten. Sprich man denn offen darüber in den Schulen, was die Vorstellungen der beiden Seiten eigentlich sind?
Zum kooperativen Lernen. Es ist interessant. Ich habe da ein anderes Konzept. Und zwar für mich sind kooperatives und kollaboratives Lernen zwei Enden eines Kontinuums der Gruppenarbeit. Die beiden unterscheiden sich. Kooperatives Lernen ist eher hierarhisch organisiert, z.B. mit einem Lehrenden als Kooridinator. Beim kooperativen Lernen geht es mehr darum eine eigene Teillösung zu erarbeiten und sie dann zu einer Gesamtlösung hinzuzufügen. Das kollaborative Lernen ist eher heterarchisch organisiert, d.h. jeder in der Gruppe ist gleichberechtigt. Beim kollaborativen Lernen geht es dann mehr darum, die gemeinsame Lösung von Anfang bis Ende gemeisam zu erarbeiten, ohne die Teilaufgaben stark voneinander abzugrenzen. Die Gruppenarbeit kann nach diesem Verständnis Elemente beider Konzepte verbinden bzw. mehr kooperativ oder mehr kollaborativ ausgeprägt sein.
Würde mich interessieren, wie die anderen das siehen?
Ja, die Erfahrung habe ich über meine Kinder in ihren Schulen und in meiner eigenen Lehrertätigkeit immer wieder gemacht, dass gerade diejenigen, die am meisten engagiert lernen, sich durch sog. “Gruppenarbeit” vergrätzt fühlen und nach vielerlei Groupworkerfahrung in der Schule lieber alleine lernen.
Es hat m. E. in der Regel damit zu tun, dass die Gruppenmethoden wie “Gruppenpuzzle”, “Platzdeckchen”, “Nummerierte Köpfe” und wie sie alle heißen, nicht immer sinnvoll eingesetzt werden und häufig noch andere pädagogische Zwecke vom Lehrer verfolgt werden, als der, zusammenarbeitend zu besseren Ergebnissen zu kommen, als allein, und genau auch diese Erfahrung machen zu dürfen. Lehrer steuern gerne, und so finden sie es meist sinnvoll, die Gruppen nach ihren (pädagogisch intentionalen) Vorstellungen zusammenzusetzen. Dann müssen Kinder/Jugendliche zusammenarbeiten, die sich sonst überhaupt nicht verstehen, oder die sehr unterschiedliche Bedürfnisse, Niveaus und Lernengagement haben. Es entsteht dann oft der Effekt, das entweder gleich eine ganz formale Arbeitsteilung gemacht wird (was ja nix mit Gruppenarbeit zu tun hat) oder die Lustlosen sich an diejenigen, die was tun wollen, einfach anhängen, was zu Unmut bei den Engagierten führt, und ja auch nicht Sinn der Sache ist.
Ich habe selbst immer erlebt, dass Gruppen dann gut funktionieren, wenn sie
1. ein gemeinsames Ziel formulieren dürfen und
2. sich selbstbestimmt zusammensetzen dürfen.
Die Ansage vom Lehrer, “aber man muss doch lernen, auch mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man nicht leiden kann” ist deswegen eine unreflektierte Sache, weil sie verkennt, wie mehrfach sie die Schüler und Schülerinnen überfordert mit dem Problem “zu viel zu schnell zu früh”. Man kann nicht gleichzeitig Gruppenarbeitsformen/instrumente lernen, den Inhalt der Aufgabe erfolgreich und insbesondere zur eigenen Zufriedenheit (der Schüler!) bearbeiten UND dann noch lernen, mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen man nicht gut kann. Das sieht jeder ein, wenn er an sich selbst denkt. Also: eins nach dem anderen.
Meist sind die Gruppenarbeitsphasen auch viel zu kurz. Oft ist auch nicht ersichtlich, WARUM Gruppenarbeit und nicht Einzelarbeit an dieser Stelle. Gruppenarbeit muss immer den Sinn haben, dass die Verschiedenheit der beteiligten Individuen gerade der Clou ist, der zu einem besseren Ergebnis führt. Also verschiedene Perspektiven zu einer komplexen Frage oder verschiedene Fähigkeiten zu einer Aufgabenlösung zusammenzutragen macht Sinn. Aber nicht Groupwork “an sich”.
Und Gruppenarbeit funktioniert am besten in Projektszenarien, denn diese erfordern Zusammenarbeit und sind also in der Prozessnotwendigkeit selbst begründet.
Den Unterschied zw. Kooperation und Kollaboration sehe ich auch. Ich sehe ihn so: Kooperieren können selbständige selbstbestimmte Einzelne (bzw. Organisationen, bzw. Institutionen, z.B. die Eltern mit der Schule, die Jugendhilfe mit der Schule, usw.) Kollaborieren sehe ich auch als das engere: z.B. einen Text gemeinsam schreiben, ein Problem gemeinsam erforschen. Dabei muss vieles geklärt und ausgehandelt werden, denn es soll ja ein gemeinsames kohärentes Produkt herauskommen. Kooperieren ist weniger eng, erlaubt viel größere Heterogenität und braucht weniger Absprachen, denn es darf schnell zu einer additiven Arbeitsteilung kommen, wo jeder nach seiner Mütze beteiligt ist. Kooperation kann schnell entstehen. Kollaboration braucht viel Klärungs- und Aushandlungszeit, wenn es um größere gemeinsame Produkte wie einen gemeinsamen Text oder ein Video z.B. geht. (Meist wird das unterschätzt im Unterricht.)
Hallo,
zur Info:
Es ist schon manchmal sehr schwer das Fachchinesisch der “Experten” nachzuvollziehen. Ich habe mal gegoogelt:
“Kooperatives und kollaboratives Lernen bezeichnet zwei unterschiedliche Arten von Lernprozessen in Gruppen. Während beim kooperativen Lernen die Arbeitsaufgaben aufgeteilt, individuell bearbeitet und zum Schluss zusammengefügt werden, wird beim kollaborativen Lernen permanent in einer Gruppe zusammengearbeitet (Hinze, 2004).” (http://elearn.jku.at/wiki/index.php/Gestalten_und_Evaluieren_von_eLearning_Szenarien/Kooperatives_und_Kollaboratives_Lernen_mit_Neuen_Medien).
Das ist dach klar, einfach und verständlich, oder?
Viel schwieriger wird es dann sicherlich die Ideen (also die Theorie) in die Praxis umzusetzen. Die auftretenden möglichen Schwierigkeiten, resultieren aus der unendlichen Bandbreite der möglichen Randbedingungen haben Uli Dönhöf und Lisa Rosa schön umrissen.
Gruß
Axel Kunde